Am Ende fehlte dem Muskelpaket die Kraft
Mit 86 Jahren ist die einstige Kugelstoß-Weltmeisterin und TV-1868-Ikone Liesl Huber gestorben
Burghausen: 1,64 Meter pure Kraft, sowohl körperlich als auch mental – so war Liesl Huber bekannt. Zwölfmal holte sie den bayerischen Meistertitel, als Kugelstoßerin aber auch im Schleuderball und Fünfkampf. Ihr Steckenpferd – das Kugelstoßen – brachte sie zweimal an die Weltspitze: 1979 und 1981 wurde sie Senioren-Weltmeisterin. Das zweite Mal führte sie nach Neuseeland. 13,4 Meter ließ sie die vier Kilogramm schwere Kugel dort durch die Luft fliegen – was zwar mehr als drei Meter unter ihrer Bestmarke lag, aber an diesem Tag für den Titel reichte. Dazu kam gleich noch der siebte Platz im Diskuswerfen. Und, quasi im Vorbeiflug bei der Heimreise, der erste Platz bei einem weiteren Wettbewerb im australischen Sydney.
So zahlreich ihre sportlichen Erfolge auch sind – darunter mehrere deutsche Meistertitel –, in Burghausen ist es wohl vor allem ihr Engagement um den TV 1868 selbst, der sie bekanntgemacht hat. Es war „ihr“ Verein, und sie umgekehrt „die heimliche Vorsitzende auf dem Platz“, wie der heutige Vorsitzende Norbert Stranzinger schmunzelt. Klar war: „Was die Liesl sagt, gilt.“
Die gebürtige Münchnerin war 1954 an die Salzach gekommen, der Liebe zu ihrem Josef wegen, der damals bei Wacker anfing und mit ihr in Burghausen sesshaft wurde. Noch im selben Jahr wurde geheiratet, später komplettierte Tochter Heidi die Familie.
Sepp war es auch, der Liesl Huber zum Kugelstoßen brachte – und zum Turnverein. Egal ob auf dem Platz, in der Halle oder im Vereinsleben – die beiden waren schnell eine sportliche Institution in Burghausen. Als Übungsleiter, Trainer, Leistungssportler, Helfer, Kümmerer, Platzwart, Tausendsassa. Und natürlich als Hausmeister der damaligen TV-Halle, die dank ihrer obenauf gelegenen Wohnung ihrer Obhut unterlag – wie auch jeder, der sie benutzte.
Letzteres brachte es mit sich, dass die Hubers quasi von sich aus die sportliche Heranführung der gesamten Altstadt übernahmen. Zumindest eine Stunde habe jeder bei ihr absolvieren müssen, erinnert sich Stranzinger. Dafür gab’s im Gegenzug so manche Besonderheit, nette Gespräche, auch mal eine Halbe Bier.
Was das Trainieren und Sporteln angeht, war Liesl Huber zu heute kaum noch vorstellbaren Zeiten unterwegs. Wo heutzutage in Leistungszentren und unter Beteiligung sämtlicher Fachexperten jede noch so kleine Reserve mobilisiert wird, da stand der Liesl nicht einmal eine Kraftmaschine zur Verfügung. Stattdessen stemmte sie schon mal ihren Mann Sepp in die Höhe, wie sie später noch gern erzählte.
on ihm musste sie 2004 Abschied nehmen. Auch sportlich war da bereits der Ruhestand eingeläutet − freilich nur vom Leistungssport, denn fit hielt sich die lebenslustige wie resolute Liesl bis ins hohe Alter. Nur zu gern ließ sie Besucher auch mit über 80 noch ihren angespannten Bizeps fühlen – begleitet meist von ehrfürchtigen Blicken des Gastes.
Corona-Besuchsverbot setzte ihr zu
An letzteren fehlte es Liesl Huber nie, auch nicht die vergangenen sieben Jahre über, welche die Seniorin nach einer schwereren Erkrankung im Heilig-Geist-Spital verbracht hat. Regelmäßige Besuche der „alten Haudegen“ des Turnvereins waren ihr sicher, umgekehrt verfolgte sie akribisch, wie es in „ihrem“ Verein weiterging.
chmerzlich trafen sie vor diesem Hintergrund die coronabedingten Beschränkungen des letzten Jahres. Dass zeitweise keinerlei Besuch mehr möglich war, setzte der geistig fitten 86-Jährigen zu. Körperlich ging es schon seit längerem zusehends bergab. Am Samstag schließlich starb Liesl Huber. Die Kraftreserven der einst vielleicht stärksten Frau der Stadt waren aufgebraucht.− ckl
PnP
Foto: TV 1868 / Wetzl
Zweimal holte Liesl Huber den Senioren-Weltmeistertitel im Kugelstoßen nach Burghausen, 1979 und 1981. Die Rekordweite der 1,64 Meter großen Ausnahmeathletin liegt bei 16,79 Meter.
Süddeutsche Zeitung Landkreise BAYERN Donnerstag, 28. Januar 2021 Bayern Region
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Starke Frauen
Kugelstoßerin Liesl Huber hat mit Tatkraft Rekorde erreicht und zum Spaß ihren Mann gestemmt. Damit steht sie in einer langen Reihe emanzipierter Kämpferinnen.
von Hans Kratzer
Burghausen – Die Stadt Burghausen hat in ihrer langen Geschichte so manche Berühmtheit hervorgebracht. Auch Liesl Huber, die vor wenigen Tagen im Alter von 86 Jahren gestorben ist, trug einiges dazu bei, den Ruhm der Grenzstadt zu mehren. Immerhin zählt sie zu den erfolgreichsten Sportlerinnen Burghausens überhaupt. „Eine Persönlichkeit wie sie dürfte innerhalb der Stadtgrenzen schwerlich ein zweites Mal zu finden sein“, war im Nachruf des Burghauser Anzeigers zu lesen. Und Norbert Stranzinger, der Vorsitzende des TV 1868 Burghausen, nennt Liesl Huber eine „Legende des Vereins, eine Institution als Mensch und als Sportlerin“. Diese Würdigungen rühren nicht nur von daher, dass sie – obwohl sie nur 1,64 Meter groß war – zweimal Senioren-Weltmeisterin im Kugelstoßen war. Sie prägte zudem ganze Generationen als Übungsleiterin.
Liesl Huber gab ein leuchtendes Beispiel, was ein Mensch mit Zuneigung und Tatkraft alles erreichen kann. Als Frau schaffte sie das schon in Zeiten, in denen das Wort Emanzipation noch klein geschrieben wurde. Zum Kugelstoßen hatte sie einst ihr Mann Sepp überredet. Die dafür erforderliche Kraft und Schnelligkeit erwarb sie sich auf natürliche Weise, moderne Kraftgeräte gab es ja noch nicht. So stemmte die gebürtige Münchnerin ersatzweise ihren Mann in die Höhe, wie sie später gerne erzählte. Mit großer Freude ließ sie ihre Gäste auch als 80-Jährige noch ihren stattlichen Bizeps betasten.
Liesl Huber stand für ein schon damals von Selbstbewusstsein getragenes Frauenbild, das in den heutigen Debatten zu wenig beachtet wird. Auch vor vielen Jahrzehnten gab es Frauen, die sich mit Witz und Resolutheit gegen die männliche Dominanz gestemmt und durch ihre Ausstrahlung Respekt erworben haben. Im Sport setzten sie auf heute dahinschmelzende Tugenden wie Gemeinschaftssinn, Hilfsbereitschaft und Fairness. Wie ein Sportverein eine Schule fürs Leben sein kann, das hat Liesl Huber vorbildlich vorexerziert. Sie war „die heimliche Vorsitzende auf dem Platz“, wie Norbert Stranzinger eingesteht. „Was die Liesl sagte, das galt.“
Die starke Rolle, die Frauen wie Liesl Huber ausübten, war keine Seltenheit, aber manchmal war sie durch die Umstände auch erzwungen. Auf dem Land, das sagt die Kabarettistin Monika Gruber, habe immer schon die unausgesprochene Regel gegolten: So schwer kann eine Arbeit gar nicht sein, dass sie nicht auch von einer Frau verrichtet werden kann. Eine gestandene Bäuerin durfte, was die schwere Arbeit im Stall und auf dem Feld anbelangte, nicht zimperlich sein, sagt Gruber. Auch wenn das fatale Folgen hatte, wie in Oskar Maria Grafs Roman „Das Leben meiner Mutter“ nachzulesen ist. „Ihre Beine waren nach einer hierzulande üblichen Bezeichnung ‚offene Kindsfüße‘, welche fast jede Bäuerin bekam, die meistens schon etliche Tage nach der Niederkunft wieder schwer arbeitete.“
Körperliche Höchstleistungen vollbrachten früher auch Frauen aus den höchsten Kreisen. Marie von Bayern, die Mutter König Ludwigs II., fand vor lauter Bergklettereien kaum noch Zeit für ihre Repräsentationspflichten. Sie bestieg als eine Pionierin den Watzmann. Und Sisi, die Kaiserin Elisabeth, ließ sich in jedem Haus ein Turnzimmer einrichten, mit Reck, Ringen und Sprossenwand. Um sich dann Gewaltmärschen und Gewaltritten auszusetzen, die sogar die Männer überforderten.
Auf diese Sorte von Powerfrauen stößt man in der bayerischen Geschichte gar nicht selten. Die in Viechtach aufgewachsene Katharina Brumbach (1884-1952) stieg als Katie Sandwina in Amerika zur stärksten Frau der Welt auf. Sie stemmte die schwersten Gewichte, riss Ketten entzwei, hob drei Männer gleichzeitig in die Höhe. Ihren Mann hob sie ähnlich wie Liesl Huber einarmig empor. Sie war aber auch ein politischer Mensch und unterstützte die Suffragettenbewegung, die für die Einführung des Frauenwahlrechts kämpfte.
Gewiss hätte sie auch als Kugelstoßerin einiges erreicht. Aber auch ohne sie setzten bayerische Frauen in dieser Disziplin Maßstäbe. Die Münchnerin Gisela Mauermayer (1913-1995), die 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin den Diskuswurf gewann, schaffte zudem einen Weltrekord als Kugelstoßerin. Später wurde sie Mitbegründerin des ersten Frauenausschusses des Deutschen Sportbundes. Die für den ESV Neuaubing startende Eva Wilms war in den 70er-Jahren achtmal in Folge deutsche Meisterin im Kugelstoßen. 1977 wurde sie als Sportlerin des Jahres in Deutschland gekürt. Die für den LAC Quelle Fürth startende Claudia Losch gewann 1984 in Los Angeles sogar Olympiagold im Kugelstoßen. Allerdings litten die Erfolge der Athletinnen in den 70er- und 80er-Jahren darunter, dass sie in einer Hochphase der Dopingmissbrauchs erzielt wurden.
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